
02/07/2018 Was der Online-Retail von Toys R US lernen kann
Gespenstische Bilder: Die US-Firmenzentrale von Toys R Us in Wayne, New Jersey, gleicht nach der angemeldeten Insolvenz einer Geisterstadt. Das Mobiliar steht zum Verkauf. Alles muss raus. Sogar die riesige Giraffe Geoffrey, das Maskottchen von Toys R Us, welches die Besucher einst am Empfang begrüßte, wird wohl bald abtransportiert. Schlussverkauf. Auch wenn die Geschäfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz von einem Käufer übernommen und weitergeführt wird, sind die Bilder ebenso ein Symbol der Notwendigkeit des digitalen Wandels und des Wettbewerbs des stationären Handels gegen Online-Riesen wie Amazon. Wie kann sich der Einzelhandel digital positionieren, um gegen die Branchen-Giganten zu bestehen?
Der Einzelhandel hat an vielen Fronten zu kämpfen. Da gibt es zum einen die direkten Webseiten der Markenhersteller selbst (bspw. lego.com). Darauf werden die eigenen Produkte idealerweise in bestmöglicher Art und Weise präsentiert – das volle Markenerlebnis, inkl. Videos und 360° Bilder. Oftmals ist ein eigener Onlineshop integriert. Auf der anderen Seite gibt es breit aufgestellte Online-Versandhändler, bei denen man alles bekommt und das zu einem (empfunden) günstigen Preis. Gibt es dazwischen noch einen digitalen Platz für den Spielzeug-Fachhandel, ohne sich in einem permanenten Preiskampf behaupten zu müssen? Die Antwort lautet „Ja, absolut!“, denn den Fachhandel macht das aus, was auch schon im Namen manifestiert ist: Es sind Unternehmen „vom Fach“. Experten, die (mehr oder weniger) unabhängig von Herstellern und Marken ihre Kunden beraten. Und das ist im Spielwaren-Umfeld, wie in anderen Branchen, nach wie vor auch online dringend notwendig. Wer schon einmal für einen Vierjährigen ein Geschenk online kaufen wollte, wird mir hier beipflichten.
Der Fachhandel kann auch Online die erste Wahl sein
Breit aufgestellte Online-Versandhändler können mit ihrer Auswahl auf den ersten Blick überwältigend und wenig inspirierend wirken. Der Markenhersteller wird unter Umständen nicht gefunden, da er noch nicht unbedingt auf dem Radar des potenziellen Käufers ist. Der Fachhandel mit seiner Expertise kann also auch Online die erste Wahl sein. Nur leider wird dieses Potenzial oftmals nicht ausgenutzt, insbesondere wenn sich die Seiten lediglich als auf Sales optimierte Onlineshops präsentieren. Es mangelt an Inspiration, es fehlt das an-die-Hand-genommen werden. „Bei Vierjährigen ist jetzt gerade Feuerwehrmann Sam cool, oder wenn du lieber Holzspielzug verschenkst, diese Holzstraßen sind zum Lernen der Verkehrsregeln gerade total in.“ Die Beratung, die im stationären Handel selbstverständlich ist oder zumindest bei Verkäufern vor Ort eingefordert werden kann, fehlt auf vielen eCommerce Plattformen.
Wie ist die Situation in anderen Branchen?
Wechseln wir für eine Sekunde die Branche. Der Fashion-Retailer Zalando hat auf eindrucksvolle Art und Weise gezeigt, dass neben Amazon auch der Online-Fachhandel weiterhin bestehen kann. Neben dem guten und sich ständig weiterentwickelnden Onlineshop bietet Zalando deutlich mehr. So gehören inspirierende Themenwelten und individuelle Beratung im Modebereich bereits zur Normalität. Auch Zalon, der kostenlose Stilberatung-Service von Zalando, zahlt genau auf den Punkt ein: Beratung vom Fach. Im Spielwaren-Umfeld vermisse ich derartige Features.
Eigentlich hatte Toys R Us als global etablierte Marke eine gute Ausganglage diese Lücke besetzen zu können. Leider hinterlässt die Webseite eher den Eindruck, es mit einem mittelmäßigen Amazon-Klon zu tun zu haben. Fehlende Kundenbewertungen auf der deutschen Seite geben zusätzlich das Gefühl eines verwaisten Shops – fehlen nur noch die fliegenden Steppenroller und melancholische Mundharmonika-Musik.
Eine ausgewogene Digital Strategie
Selbst der beste Shop füllt sich nicht von allein. Eine ausgewogene Digital Strategie ist notwendig, um die Zielgruppe auf das eigene Angebot aufmerksam zu machen. Dabei sollten ALLE (!) Phasen des Sales-Funnels berücksichtigt werden. Denn gerade die gelungene Inspiration kann in einem guten Shop auch schnell zum Sale führen. Neben dem Standard Handwerkszeug eines Performance Marketing Teams (SEO, SEM, Affiliate Marketing…) sollten gezielte Aktionen auf die Brand Awareness abzielen (PR, Social Media, Influencer…). Gerade Letzteres wird bei Online-Retailern auch immer wieder vernachlässigt.
So schockierend manche Bilder aus der verwaisten Toys R Us Zentrale auch auf Marketer wirken, die gute Nachricht ist, es gibt für den Online-Fachhandel nach wie vor eine Daseinsberechtigung. Retailer sollten die Pleite als Warnschuss verstehen und ihre Online Strategie hinsichtlich Zukunftssicherheit abklopfen.